Wykład „Methoden des dogmatischen Diskurses in Streit um die Unbefleckte Empfängnis der Heiligen Jungfrau Maria am Beispiel deutscher Dominikanertheologen vom 13. bis zum 16. Jahrhundert” Heiligenkreutz, 27.01.2024

Methoden des dogmatischen Diskurses im Streit um die Unbefleckte Empfängnis der Heiligen Jungfrau Maria am Beispiel deutscher Dominikanertheologen vom 13. bis zum 16. Jahrhundert

Der Heilige Dominikus (ca. 1171-1221), der Begründer des Predigerordens (Ordo Praedicatorum), wählte Maria zur Fürschpreherinn des Ordens und verlieh ihr den Namen der Königin der Barmherzigkeit[1]. In Maria, der Königin der Barmherzigkeit, sahen die Dominikaner eine Helferin beim Kampf gegen den Teufel. Der Dominikaner Albert von Weissenstein (1430-1484) gab einen Kommentar zu Salve Regina in Zurüch heraus, in dem er Maria als der Dämonen Schrecken (demonibus terribilis)[2] bezeichnete. Trotz der Verehrung der Königin der Barmherzigkeit, die im Kampf gegen die Dämonen herbeigerufen wurde, lehnte die Mehrheit der Dominikanertheologen – samt der Heiligen an der Spitze: Albertus dem Großen und Thomas von Aquin – die theologische Überzeugung von der unbefleckten Empfängnis der Mutter Gottes ab. Man kann das als ein Widerspruch betrachten: die Dominikaner rufen Maria als demonibus terribilis herbei, aber gleichzeitig lassen sie Maria der Macht des Satans über, indem sie ihr die Erbsünde zuschreiben.  

            Der Widerstand der führenden Dominikanertheologen gegen die Unbefleckte Empfängnis war durch die damalige Situation in der Theologie bedingt. Die Unbefleckte Empfängnis wurde zum Gegenstand der theologischen Diskussionen in den Zeiten, als die Theologie zu einer Wissenschaft in der mittelalterlichen Bedeutung dieses Begriffs wurde – das heißt zu der argumentierenden Disziplin. Die Theologie als die argumentierende Disziplin musste ihre eigene Methode ausarbeiten[3].

            Bei der Methode der Theologie, die auf den Lehrstühlen betrieben wurde, spielte quaestio die zentrale Rolle, das heißt ein Problem, das in der Folge der Berührung mit den Worten der Heiligen Schrift entstand. Dieses Problem löste eine Diskussion aus, in der sowohl die von der Autorität stammenden Argumente als auch die Argumente der Vernunft auftauchten. Diese Diskussion bewirkte eine Synthese der Autorität, das heißt der Heiligen Schrift und der Kirchenväter, und der Vernunft. Diese Methode, die die scholastische Methode genannt wurde, führte zu einer Begegnung der menschlichen Vernunft mit dem Wort Gottes. Es war nicht möglich, die Unbefleckte Empfängnis mit der scholastischen Methode zu begründen – der Methode, die der Heilige Thomas von Aquin zur Perfektion brachte. Der Aquinate, indem er sich der scholastischen Methode bediente, stellte nicht das Problem auf: „War die Mutter Gottes Unbefleckt empfangen?”, weil er den Termin der „Unbefleckten Empfängnis” in der Bibel nicht fand. Eine Inspiration für den Heiligen Thomas bildeten die Stellen aus der Bibel, in denen die Rede von der Heiligung in den Leiben der Mutter der Propheten war: von Jeremias (Jer 1, 5) und von Johannes dem Täufer (Luk 1, 41). Im Zusammenhang mit diesen Stellen griff der Heilige Thomas das Thema der Heiligung im Mutterleib Mariä auf. Nach Thomas impliziert die Heiligung Mariä in ihrem Mutterleib ihre Freiheit von der Erbsünde nicht. Wäre Maria von der Erbsünde frei gewesen, würde das im Widerspruch mit dem Dogma über die Universalität der Erbsünde (siehe Röm. 5, 12) und mit dem Dogma über die Universalität der Erlösung (siehe 1.Tim. 4,10) stehen. Die Dogmen bilden nämlich ein kommunizierendes Gefäße und daher würde die Ausnahme von der Heiligung Mariä im Sinne ihrer Freiheit von der Erbsünde die Dogmen über die Universalität der Erbsünde und der Erlösung in Frage stellen.

            Die scholastische Methode war aber keine einzige Methode in den Zeiten, als die Theologie zur Wissenschaft wurde. In den Klostern wurde lectio divina angewandt, das heißt eine Gebetslektüre der Bibel. Um den tiefen Sinn der Bibel zu erfassen, musste man sich auf den Heiligen Geist öffnen. Dank dieser Öffnung kann man auf jeder Seite des Alten und des Neuen Testaments das finden, was die Bibel über Christus sagt[4]. Besaßen die Kirchenväter und die Heilige Schrift in der scholastischen Methode einen normativen Rang, so war die in den Klostern angewandte Methode auf die neuen Beweismittel geöffnet. Dazu gehörten: die Liturgie, die Lehre der Päpste, die Übereinstimmung der Gläubigen, das Prinzip der Konvenienz (Deus potuit, decuit, ergo fecit), die Volksfrömmigkeit und sogar die privaten Offenbarungen.

 

            Die Stellung der Dominikaner zur Unbefleckten Empfängnis wurde von einem deutschen Theologen Bruno Binnebesel (1902-1944) bereits erforscht. Im Jahre 1935 in Breslau (das heutige Wrocław) wurde er an der Theologischen Fakultät der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität anhand der Dissertation Die Stellung der Theologen des Dominikanerordens zur Frage nach der Unbefleckten Empfängnis Marias bis zum Konzil von Basel[5] im Bereich der Theologie promoviert. Binnebesel war ein Gegner des Nationalsozialismus und wurde im Jahre 1944 durch Enthauptung hingerichtet. Die Fortsetzung für die Theologische Fakultät an der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität bildet heute die Päpstliche Theologische Fakultät in Wrocław, die die Kirchenrechte wie auch die staatliches Rechte besitzt. Binnebesel stellt aber vor allem die dominikanischen Kritiker der Unbefleckten Empfängnis dar und weist auf die von ihnen angewandte Methode nicht hin. Auf die theologischen Methoden, angewandt sowohl von den Gegnern als auch von den Anhängern der Unbefleckten Empfängnis, macht ein anderer deutscher Theologe aufmerksam, nämlich Ulrich Horst. In seiner Schrift Die Diskussion um die Immaculata Conceptio im Dominikanerorden. Ein Beitrag zur Geschichte der theologischen Methode legt er nahe, dass gerade die Änderung der Methode in der Theologie zum Wendepunkt in der Diskussion über die Unbefleckte Empfängnis geführt hatte[6].

            Das folgende Referat hat zum Ziel, erstens, die Darstellung der Ansichten deutscher Dominikanertheologen, die die Anhänger der Unbefleckten Empfängnis waren, und, zweitens, die Analyse davon, wie sie das Wissen über die Unbefleckte Empfängnis bezogen, also die Analyse ihrer Methode. Man kann also folgende Fragestellung formulieren: Auf welche Art und Weise hat die Änderung der theologischen Methode die Änderung der Haltung der deutschen Dominikanertheologen zur Unbefleckten Empfängnis beeinflusst?

Der Weg, der zur Beantwortung dieser Frage führen wird, wird aus drei Etappen bestehen. Die erste Etappe umfasst die Rekonstruktion der Ansichten der deutschen Dominikanertheologen, die die Anhänger der Unbefleckten Empfängnis waren. In der zweiten Etappe werden die Stellungen zur Unbefleckten Empfängnis im Hinblick auf die angewandte Methode analysiert. Die dritte Etappe enthält eine kritische Sicht auf die Methoden der dominikanischen Anhänger der Unbefleckten Empfängnis.

  1. Die Anhänger der Unbefleckten Empfängnis unter den deutschen Dominikanertheologen

Die Anhänger der Unbefleckten Empfängnis auf dem Gebiet der Provinz der Teutonen zu finden, bildet eine äußerst schwierige Aufgabe. Im Jahre 1323 kündigte der Papst Johannes XXII. die Kanonisierung des Thomas an. Das gab einen Anstoß dazu, die Theologie des Thomas als eine offizielle Theologie der Dominikaner anzuerkennen. Ein fester Bestandteil dieser Theologie war die These über die Heiligung Mariä im Leib ihrer Mutter, der Heiligen Anna. Da die These des Heiligen Thomas über die Heiligung Mariä im Mutterleib ein Element der offiziellen Theologie des Ordens bildete, wiederholte die überwiegende Mehrheit der Dominikanertheologen diese These.

            Die von Thomas gezogene Grenze der Heiligung Mariä im Mutterleib wurde von dem Autor der Predigten Sermo de festo Purificationis B. M. Virginis und De decem caecitatibus überschritten. Die Autorschaft dieser Predigten wird Johannes Tauler zugeschrieben. Johannes Tauler hatte zwar keine Schriften hinterlassen, aber seine Predigten wurden vor allem von den Dominikanerinnen aus dem Kloster in Strassburg niedergeschrieben. Später schrieb man mehrere Predigten seinem Namen zu. Das taten sogar die Protestanten, weil Martin Luther Tauler schätzte. Luther sah nämlich in den Predigten Taulers eine Distanz zu dem Kultus der Heiligen und zur Notwendigkeit der guten Taten für die Rechtfertigung eines Sünders. Heute gelten 83 Predigten Taulers als authentisch. Darunter finden sich Sermo de festo Purificationis B. M. Virginis und De decem caecitatibus nicht. Diese Predigten repräsentieren aber das Milieu der Dominikaner[7]. Sie enthalten deutliche Andeutungen davon, dass Maria die Erbsünde nicht begangen hatte, das heißt: sie wurde vom Makel der Erbsünde sein ganzes Leben lang, von der Zeugung bis zum Tod, von Gott verschont[8]. Ein Argument für solch eine Stellung ist die Feier der Empfängnis. Wäre die Empfängnis Mariä nicht heilig gewesen, hätte es keinen Grund für deren feierliches Begehen gegeben.

Die Grenze der Heiligung Mariä wurde von Johannes Nider (ca.1380-1438)[9] verschoben, dem Autor von sechs Predigten über die Mutter Gottes. In der Predigt über die Empfängnis Mariä stellt er kurz und bündig fest: „Maria immediate, postquam anima infusa est corpori, sanctificata est”. Maria wurde geheiligt, kurz nachdem die Seele in ihr geschaffen worden war[10]. Indem Nider die Heiligung Mariä mit der Animation verbindet, gelangt er an die Grenze der tomistischen Schule, über welche hinaus sich die Unbefleckte Empfängnis befindet. Diese Grenze wird von Johannes Herolt (1390-1468)[11] in der Predigt betreffend der Worte  Fecit mihi magna (Luk 1, 49) überschritten. Unter vielen „großen Werken”, welche Gott Maria angetan hatte, nennt Herolt an erster Stelle ihre Befreiung von aller Sünde: der Erbsünde, der Todsünde und der lässlichen Sünde: „ab omni peccato originali, mortali et veniali mundata”[12]. Diese Befreiung von der Erbsünde, der Todsünde und der lässlichen Sünde, begründet Herolt mit den Worten des Hohesliedes: „Du bist lieblich, meine Freundin, und kein Fehler ist an dir!” (4,7). Herolt wendet also die Methode der typologischen Interpretation der Bibel an. Die Unbefleckte Empfängnis begründet er auch mit den Worten von Ave Maria: „voll der Gnade” (Luk 1, 28). Der Engel verkündet Maria, dass sie seit der Empfängnis „voll der Gnade” ist: „Maria ab conceptione plena gratie ab angelo nuntiatur”[13]. Herolt hat die Grenze der tomistischen Schule deutlich überschritten. Indem er von der scholastischen Methode Abschied nahm und zur typologischen Exegese und der Methode der Konvenienz überging, kam er zur Fernhaltung und zur Befreiung der Mutter des Herren von der Erbsünde und aller anderen Sünden. Herolt gebrauchte den Begriff der Unbefleckten Empfängnis nicht direkt, was eine große theologische Bedeutung hat. Er setzte nämlich die Empfängnis Jesu durch den Heiligen Geist mit der vollkommenen Heiligung Mariä nicht gleich, welche doch ihre Empfängnis durch den Heiligen Geist nicht war.

Ähnlich wie Herolt sprach von der Empfängnis Mariä ein Student, dann ein Professor und der Dekan der Theologischen Fakultät an der Universität Wien namens Johannes Streler (1390 – 1459)[14]. In einer kurzen Schrift Informationes brachte Streler in sechs Sätzen seine Ansicht über verschiedene Wahlprozeduren im Kloster, über die Frage der Beichte, der Absolution und der Unbefleckten Empfängnis zum Ausdruck. Zu der letzten Frage stellte er fest: „Beatae Mariae Virginis tenet conceptam sine originali”[15]. Die Behauptung, Maria habe beziehungsweise besitze die Empfängnis ohne die Erbsünde, ist weniger präzis als die Behauptung, dass sie von der Erbsünde ferngehalten oder befreit wurde.

Wenige deutsche Dominikanertheologen lehrten über die Fernhaltung bzw. Befreiung Mariä von der Erbsünde, oder, dass sie ohne die Erbsünde empfangen war. Sie verwendeten aber noch keinen technischen Begriff der „Unbefleckten Empfängnis”, aber sie näherten sich ihm an. Die Erwähnungen davon, dass Maria von der Erbsünde befreit wurde oder dass sie ohne die Erbsünde empfangen war, erscheinen in Predigten, und nicht in den theologischen Traktaten. In den Traktaten der Dominikaner galt – mit den heutigen Worten ausgedrückt – „die Hierarchie der Wahrheiten”. Die Heiligung Mariä wurde dem christologischen Dogma untergeordnet und deshalb setzten die Autoren der Traktaten die Menschlichkeit Jesu mit der Menschlichkeit Mariä nicht gleich. Nur Jesus wurde seit dem Beginn seines irdischen Daseins geheiligt, so dass es die Erbsünde in ihm nie gab. Die Gleichstellung der Menschlichkeit Jesu mit der Menschlichkeit Mariä wäre eine Abgötterei. Aus diesem Grund bezeichnete der deutsche Dominikanertheologe Alberus von Lauingen, genannt „der Große”, die Ansicht über die Heiligung Mariä vor ihrer Animation als die Häresie. So Albertus: „Dicimus, quod Beata Virgo non fuit sanctificata ante animationem: et qui dicunt oppositum est haeresis condemnata a Bernardo in epistola ad Lugdunenses et magistris omnibus Parisiensibus”[16]. Die Verteidigung der Ansicht über die Heiligung Mariä im Mutterleib war mit der Sorge des Ordens um die Orthodoxie verbunden. Es war nicht zufällig, dass der Papst Gregor IX. (1227-1241) die Dominikaner mit der Inquisition beauftragte, die die Häresien bekämpfen sollte. Die Ansicht über die Unbefleckte Empfängnis Mariä war mit der Häresie von Pelagius (354-427) belastet, nach der die Sünde Adams auf seine Nachkommen durch die Nachahmung und nicht durch die Vererbung übergeht. Auf der Grundlage dieser Häresie verkündete Julian von Eklanum (386-455) die Unbefleckte Empfängnis Mariä. Maria sei diejenige gewesen, die Adam mit seinen Sünden nicht nachahmte, auch wenn sie nicht die einzige war. Die Unbefleckte Empfängnis war in der Auffassung Julians als „das Dogma des Teufels”[17]bezeichnet und deshalb konnte für die Inquisitoren verdächtig sein. Obwohl die Dominikaner die Gegner der Unbefleckten Empfängnis waren, schwächte ihre Haltung den Kultus nicht, in welchen der Orden Maria einweihte. Dieser Kultus war nicht geringer als die Verehrung, die die Anhänger der Unbefleckten Empfängnis Maria schenkten. Es genügt zu erwähnen, dass gerade die Dominikaner den Rosenkranz verbreiteten. Der Abt der Dominikaner in Köln, Jakob Sprenger, gündete am 8. September 1475 den ersten deutschen Rosenkranzverein. Die Liebe zur Mutter des Herren legt die Unbefleckte Empfängnis nahe. Bei den Dominikanern aber ging die Liebe zur Mutter des Herren mit der Liebe zur offenbarten Wahrheit einher. Diese Liebe ließ sie achten, dass die Heilige Schrift und die Kirchenväter über die Unbefleckte Empängnis schweigen.  Diese Liebe zur Wahrheit bildete aber keine Barierre für die noch größere Liebe zur Mutter des Herren.

  1. Die theologische Methode der dominikanischen Anhänger der Unbefleckten Empfängnis

Wenige dominikanische Anhänger der Unbefleckten Empfängnis schrieben keine theologischen Trakten, aber sie brachten ihre Ansichten in Predigten zum Ausdruck. Hinter ihren Äußerungen über die Unbefleckte Empfängnis steckt eine der drei theologischen Methoden: die Methode der Konvenienz, die Methode lex orandi-lex credendi und die Methode der typologischen Exegese.

            Die Methode der Konvenienz begründet die Unbefleckte Empfängnis durch die Möglichkeit Gottes. Die Angemessenheit des möglichen Wirkens Gottes wird durch die Ökonomie der Erlösung begründet, vor allem durch das Mysterium  der Einverleibung. Es war angebracht, dass der Heilige Sohn des Höchsten Gottes den Leib von seiner Heiligen Mutter vom Beginn ihres Daseins an annahm. Das Prinzip der Konvenienz kann man mit folgender Formel wiedergeben:potuit – conveniens fuit – ergo fecit. Im Prinzip der Konvenienz steckt aber eine intellektuelle Hinterlist. Man kann nämlich nicht aufweisen, dass die Unbefleckte Empfängnis sicher war. Mit der Methode der Konvenienz kann nur die Wahrscheinlichkeit der Unbefleckten Empfängnis aufgewiesen werden.

            Die Methode lex orandi  – lex credendi sucht Argumente in der Liturgie. Im Lichte dieses Prinzips bildet die Liturgie das Bekenntnis des Glaubens. Die Anhänger der Unbefleckten Empfängnis suchten ein Argument dafür vor allem in der Feier der Empfängnis Mariä. In dieser Feier sahen sie das Leben des Dogmas über die Unbefleckte Empfängnis. Die Feier der Empfängnis hatte ihren Ursprung in den Apokryphen: im Protoevangelium Jacobi und im Pseudo-Matthäus-Evangelium. Das Protoevangelium Jacobi schrieb Maria die unschuldige Empfängnis von ihrer Mutter Anna zu. Diese Ansicht über die unschuldige Empfängnis Mariä von Anna wurde im Jahre 1677 von Papst Innozenz XI. als Häresie anerkannt[18]. Die Häresie als eine Grundlage für die Feier der Empfängnis schließ diese Feier als ein liturgisches Argument für die Unbefleckte Empfängnis aus.

Die typologische Exegese basiert auf dem patristischen Prinzip, nach dem das Neue Testament in dem Alten verborgen ist, und die volle Bedeutung des Alten Testaments sich erst in dem Neuen zeigt[19]. Die Methode der typologischen Exegese erlaubt, Christus auf jeder Seite des Alten Testaments zu finden. Da Maria die Mutter des Herren ist, erlaubt die typologische Exegese sie in einigen Texten des Alten Testaments zu entdecken. Die Mutter des Herren wurde zum Beispiel im Hoheslied, im Buch Ester oder sogar im Buch Genesis gefunden. Man sah Maria in der Freundin ohne Fehler (Hoheslied 2, 14), die dem Liebsten gehört (Hoheslied 2, 16); in Ester, die vom König Ahasveros vom Todesgesetz befreit wurde, das für jeden galt, der sich dem König willkürlich annäherte (Est 5, 2); und in Eva, bevor sie die Erbsünde begangen hatte. Die typologische Exegese erlaubte, in der Freundin, in Ester oder in Eva nicht nur die Mutter des Herren, sondern auch ihre Unbefleckte Empfängnis zu erblicken. Die typologische Interpretation der Freundin, Ester und Eva liefert ein stärkeres Argument für die Unbefleckte Empfängnis als die Argumente der Konvenienz oder der Feier der Empfängnis Mariä. Die typologische Exegese erlaubt, die Kompatibilität der Unbefleckten Empfängnis und der Heiligen Schrift zu zeigen. Das Argument für die Unbefleckte Empfängnis nach der typologischen Exegese bildet jedoch keinen Beweis aus der Heiligen Schrift, den man von den Beweisen aus den Zeugnissen der Kirchenväter nicht trennen darf[20].

            Zu den Lebzeiten von Johannes Streler (1390 – 1459) und Johannes Herolt (1390-1468), die die Anhänger der Unbefleckten Empfängnis unter den Dominikanern waren, wurde das Dogma über die Unbefleckte Empfängnis am 17. September 1439 durch das Konzil von Basel verkündet. In dieser Zeit war dieses Konzil kein vom Papst anerkanntes Konzil mehr. In den Jahren 1437-1443 wurde es zum Anti-Konzil und deshalb war das von ihm verkündete Dogma über die Unbefleckte Empfängnis aus formalen Gründen ungültig. Joahnnes Nider dafür war in der Zeit des Konzils der Abt des Dominikanerordens in Basel und hielt am 27. Juli 1431 eine Eröffnungsrede zum Beginn des Konzils. Aus Basel begab sich Nider nach Wien, wo er der Dekan der Theologischen Fakultät wurde. Anfangs unterstützte er die Anhänger der Fortsetzung des Konzils in Basel. Als aber der Papst Eugen IV. die Entscheidung über die Verlegung des Konzils definitiv bestätigte, hörte Nider mit seiner Unterstützung auf. Nider starb im Jahre 1438, also ein Jahr vor dem Versuch, die Unbefleckte Empfängnis zu dogmatisieren. Die Formel des Dogmas über die Unbefleckte Empfängnis, verkündet durch das nicht rechtskräftige Konzil in Basel, erwähnte die Methoden, die zur Dogmatisierung der Ansicht über die Unbefleckte Empfängnis geführt hatten. Dieses Dogma wurde wie folgt fomuliert: „Wir definieren und erläutern, dass die Lehre, nach der die lobenswerte Jungfrau, die Mutter Gottes, Maria, infolge des vorausgehenden Wirkens der besonderen Gnade der Göttlichen Majestät der Erbsünde nie untergelegen war, sondern frei von aller Schuld, der aktuellen und der Urschuld, immer war, und auch dass sie heilig und unbefleckt war, und diese Lehre soll von allen Katholischen als fromm und als dem Kult der Kirche, dem katholischen Glauben, der richtigen Denkweise und der Heiligen Schrift gemäß anerkannt werden”[21]. Nach dieser Definition wird die Ansicht über die Unbefleckte Empfängnis zum Dogma, weil sie dem Kult der Kirche, dem katholischen Glauben, der richtigen Denkweise und der Heiligen Schrift gemäß ist. Die Reihenfolge der Methoden, die zur Dogmatisierung der Ansicht über die Unbefleckte Empfängnis geführt hatten, kann überraschen. An der ersten Stelle wurde der Kult der Kirche genannt, und erst an der letzten Stelle erscheint die Heilige Schrift, die die Hauptquelle der Offenbarung ist. Es ist eine „verkehrte Hierarchie der Methoden”. Diese Reihenfolge der Methoden erlaubte, die Ansicht über die Unbefleckte Empfängnis als ein Dogma anzuerkennen. In diesen Prozess der Wandlung der Methode schrieben sich wenige Anhänger der Unbefleckten Empfängnis unter den Dominikanertheologen ein. Zwei von ihnen – Streler und Herolt – lebten zur Zeit des Konzils von Basel und deshalb konnten sie sich von seinen Methoden inspirieren, die zu misslungenem Versuch der Dogmatisierung der Unbefleckten Empfängnis geführt hatten. Nider dafür unterschied sich von anderen Theologen dadurch, dass er an die scholastische Methode gebunden war; deshalb, auch wenn er an die Grenze der Unbefleckten Empfängnis kam, hat er sie niemals überschritten.

  1. Die Methode der dominikanischen Anhänger der Unbefleckten Empfängnis und die scholastische Methode des Heiligen Thomas.

Die Äußerungen weniger deutschen Dominikanertheologen bestätigen die These, dass die theologischen Methoden im Hintergrund des Streites um die Unbefleckte Empfängnis stehen. Die Änderung der Methode, von der scholastischen zu der liturgischen Methode (lex orandi – lex credendi), der Methode der Konvenienz und der typologischen Exegese, führte die wenigen Dominikanertheologen zur Ansicht über die Fernhaltung bzw. Befreieung Maria von der Erbsünde oder dass sie ohne die Erbsünde empfangen war. Die Methoden, die die Anhänger der Unbefleckten Empfängnis (auch die dominikanischen) gebrauchten, hatten auch die Schwächen. Sie erinnerten an einen Indizienprozess, der eine hohe Wahrscheinlichkeit gibt, aber keinen Beweis liefert. Diese Methoden begünstigten via devotionis, die die Unbefleckte Empfängnis förderte. Via devotionis war schneller als via theologiae, weil die Liebe zur Mutter des Herren der Wahrheit über die Mutter des Herren vorausging. Aber die Liebe zur Mutter des Herren muss mit der offenbarten Wahrheit über die Mutter des Herren einhergehen. Zur Dogmatisierung der Unbefleckten Empfängnis führt vor allem via theologiae, und nicht via devotionis. Via theologiae bei der entschiedenen Mehrheit der Dominikanertheologen basierte auf der scholastischen Methode. Diese Methode erinnert an ein Beweisverfahren und deshalb konnten die Dominikanertheologen im Falle der Unbefleckten Empfängnis keine Beweise in der Heiligen Schrift, bei den Kirchenvätern und in „der richtigen Denkweise” finden. Die Heilige Schrift und die Kirchenväter sprachen direkt von der Heiligung Jeremias und Johannes in den Leibern ihrer Mütter, was eine ähnliche Heiligung der Mutter des Herren suggerierte. Aber sie konnte in der Empfängnis selbst nicht vollgebracht werden, weil „die richtige Denkweise” nachwies, dass das wegen der Universalität der Sünde und somit der Universalität der Erlösung unmöglich ist. Die Mutter des Herren konnte weder aus der Universalität der Sünde noch aus der Universalität der Erlösung ausgeschlossen sein. Die Haltung der Dominikaner, die in der Folge der Anwendung der scholastischen Methode entstand, hinderte eine schnelle Dogmatisierung der Ansicht über die Unbefleckte Empfängnis, welche via devotionis forderte. Nach dem ungültigen Konzil von Basel, das die Unbefleckte Empfängnis dogmatisiert hatte, gingen die Dominikaner zu einer Verteidigungsstellung über. Sie waren aber von der Überlegenheit der scholastischen Methode, die sich auf den Beweisen und nicht auf den Indizien stützte, fest überzeugt. Diese Methode brachte den Termin der „Heiligung” und nicht der „Empfängnis” aus der Heiligen Schrift hervor. Die Bibel spricht von der Empfängnis Jesu durch den Heiligen Geist (Luk 1, 31-35). Der Heilige Geist hatte in Maria die menschliche Gestalt des Sohnes Gottes geschaffen und deshalb wurde Jesus unbefleckt empfangen. Dieses Ereignis wird von der Liturgie zur Verkündigung des Herren gefeiert. Im Grunde ist es eine Feier der Unbefleckten Empfängnis Jesu. Die Empfängnis Jesu durch den Heiligen Geist bildet kein Paradigma für die Unbefleckte Empfängnis Mariä. Die Empfängnis Mariä wurde in Anna vollbracht, so wie die Empfängnis jedes Menschen. Es war keine Unbefleckte Empfängnis, weil es keine Empfängnis durch den Heiligen Geist war, wie im Falle Jesu. Der bei der Empfängnis Mariä gebrauchte Begriff „die Unbefleckte” scheint sie mit der Unbefleckten Empfängnis Jesu identifizieren, welche durch den Schöpfer, den Heiligen Geist, vollbracht wurde. Die Empfängnis Mariä in Anna war indessen eine ganz andere Empfängnis als die von Jesu. Im Falle Mariä wäre der biblische Begriff der „Heiligung” ein besserer Begriff. Die Heiligung Mariä im Mutterleib Anna’ wäre einerseits analog zur Heiligung Johannes im Mutterleib Elisabeth’, andererseits mehr erhaben als diese. Die Heiligung Johannes im Mutterleib Elisabeth’ würde ein Paradigma für die Heiligung der Mutter des Herren und zugleich eine Befreiung infolge einer mehr erhabenen Heiligung bilden. Dadurch wäre die Unbefleckte Empfängnis Jesu durch den Heiligen Geist mit der Unbefleckten Empfängnis Mariä nicht gleichgesetzt, welche doch durch Joachim und Anna und nicht durch den Heiligen Geist vollbracht wurde. Nur Jesus war unbefleckt, weil er durch den Heiligen Geist empfangen wurde, und Seine Mutter wurde durch eine höhere Heiligung erlöst. Maria hatte durch den Heiligen Geist den Unbefleckten Jesus empfangen, aber sie selbst wurde durch den Heiligen Geist nicht empfangen. Diesen Gedanken kann man im Rheinland-Rosenkranz finden, der mit Zusätzen nach der Begrüßung Gabriels und Elisabeths endete. In dem ersten, freudenreichen Geheimnis lautete der Zusatz wie folgt: „Den du, o Jungfrau, vom Heiligen Geist empfangen hast”. Dieser Zusatz bildet ein Echo des Glaubensbekenntnisses: „empfangen durch den Heiligen Geist”. Maria hatte also Jesus durch den Heiligen Geist empfangen und deshalb wurde nur Er unbefleckt empfangen. An dieser ausschließlichen Unbefleckten Empfängnis Jesu hat aber die Mutter des Herren eine besondere Teilnahme als diejenige, die durch eine erhabene Heiligung von Beginn ihres Daseins an erlöst wurde. Die Unbeflecktheit der Empfängnis Jesu wird auf die Mutter des Herren quasi ausgegossen und erlöst sie durch eine erhabene Heiligung. Nach den Worten der Dogmatischen Konstitution Lumen gentium: „Wie vielmehr am Priestertum Christi in verschiedener Weise einerseits die Amtspriester, andererseits das gläubige Volk teilnehmen und wie die eine Gutheit Gottes auf die Geschöpfe in verschiedener Weise wirklich ausgegossen wird”[22], so hat auch die Unbefleckte Empfängnis Jesu ihre Unbeflecktheit auf die Empfängnis Mariä ausgegossen. Die Mutter des Herrn ist also unbefleckt in dem Unbefleckten Herrn und durch den Unbefleckten Herrn.

[1] M. Lohrum, Dominikus, in: (Hg. R. Bàumer, L. Scheffczyk, Marienlexikon II, St. Ottilien1989, S. 210.

[2] P. Segl, Deutsche Dominikaner im Kampf gegen Dàmonen, Ketzer und Hexen, in: (Hg.  S. von Heusinger , E. H. Füllenbach , W. Senner, K. B. Springer) Die deutschen Dominikaner und Dominikanerinnen im Mittelalter, De Gruyter 2016, S. 463. [435 – 463}

[3] B. Sesboüé, Ch. Theobald, Słowo zbawienia, in: (Hg. B. Sesboüé) Historia dogmatów IV, Kraków 2003, S. 74.

[4] Vgl. Benedykt XVI, Mistrzowie Duchowi. Ojcowie i pisarze średniowiecza, op. cit., S. 47-50.

[5] Vgl. B. Binnebesel, Die Stellung der Theologen des Dominikanerordens zur Frage nach der Unbefleckten Empfängnis Marias bis zum Konzil von Basel, Kallmünz bei Regensburg Verlag Michael Laßleben 1934.

[6] Vgl. Die Diskussion um die Immaculata Conceptio im Dominikanerorden. Ein Beitrag zur Geschichte der theologischen Methode, 1987 Ferdinand Schöning Paderborn, S. 1-3.

[7] B. Kochaniewicz, Średniowieczni dominikanie a niepokalane poczęcie Matki Bożej, op. cit., S. 226.

[8] Vgl. Kochaniewicz,  Średniowieczni dominikanie a niepokalane poczęcie Matki Bożej,op. cit., S. 226-228.

[9] Vgl. H. J. Schiewer, Johannes Nider, w: Marienlexikon III, op. cit., S. 410.

[10] Vgl. H. Siebert, Die Heiligenpredigt des ausgehenden Mittelalters, Zeitschrift für katholische Theologie, Vol. 30, No. 3, 1906, S. 470-491.

[11] R. Schenk, Herolt, Johannes, OP, in: Marienlexikon III (1991), S. 157-159.

[12] J. Herolt, Sermones Discipuli, et de Te[m]pore [et] de Sanctis: Quadragesimale eiusde cu[m] promptuario: ac diuersis tabulis perq necessarijs ; Cu[m] casibus papalibus ep libus: a sacra co munione inhibitionib nouissime Lugduni emendati oprimisq caracterib impressi,  1529.

[13] Ebenda.

[14] Vgl. G. Powitz, Streler Johannes, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters – Verfasserlexikon, Bd. 9, Berlin – New York 1995, S. 411-416.

[15] J. Streler, Informationes, Basel, UB: cod. E.III.13, 47; Abdruck: Löhr, 1924, S. 162. Vgl. G. Powitz, Streler Johannes, op. cit., S. 415.

[16] Albertus Magnus, In tertium sententiarum, d.3, a.4

[17] W. Sebastian, The controversy over the Immaculate Conception from afte Scotus to the End of the Eighteenth Century, in: (Hg.) E.  O`Connor, The Dogma of the Immaculate Conception: History and Significance, op. cit., S. 235.

[18] N. Mayberry, The controversy over Immaculate Conception in medievel and Renaissance art., literature, and socjety, op. cit.,  S. 211 [207-224]

[19] Św. Augustyn: et in vetere novum lateat et in novo vetus pateat. Vgl. M. Fiedrowicz, Teologia ojców Kościoła, Kraków 2009, S. 150.

[20] „In den theologischen Wissenschaften kann man von den Beweisen im engen Sinne dieses Wortes nicht sprechen. Würden sie in der Tat existieren, das heißt: sollten sie eine gegenständliche Evidenz geben, würden sie die Natur des Glaubens zerstören, der trotz der Begründungen ein freier Akt bleiben muss. […] Deshalb soll man in der Theologie eher von dem Begründen als von dem Beweisen sprechen”. M. Rusecki, Problematyka metody w teologii, in: (Hg. A. Anderwald, T. Dola, M. Rusecki) Tożsamość teologii, Opole 2010, S. 77 [43-83].

[21] Sobór w Bazylei – Ferrarze – Florencji – Rzymie (1431-1445), De conceptione gloriosissime virginis Mariae, in: (Hg. A. Baron, H. Pietras) Dokumenty Soborów Powszechnych III, Kraków 2003, S. 425. „Nos vero diligiter inspectis auctoritatibus et rationibus, quae iam a pluribus annis in publicis relationibus ex parte utriusquae doctrinae coram hac sancta synodo allegatae sunt, aliisquae etiam plurimis super hac re visis, et matura consideratione pensatis, doctrinam illam differentem gloriosam virginem Dei genetricem Mariam, praeveniente et operante divini numinis gratia singulari, numquam actualiter subiacuisse originali peccato; sed immunem semper fuisse ab omni originali et actuali culpa, sanctamque et immaculatam; tamquam piam et consonam cultui ecclesiactico, fidei catholicae, rectae rationi et sacrae scripturae, ab omnibus catholicis approbandam fore, tenendam et amplectendam, diffinimus et declaramus, nullique de cetero licitum.” [422-425].

[22] Sobór Watykański II, Konstytucja dogmatyczna o Kościele, in: Sobór Watykański II. Konstytucje, Dekrety, Deklaracje, Poznań 2002, S. 160.